Volt steht hinter dem neuen Vertragspaket zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (Bilaterale 3)
Nach über 190 Sitzungen haben sich die Schweiz und die EU auf ein neues massgeschneidertes Verhandlungspaket geeinigt, das die bilateralen Beziehungen zukunftsfähig machen soll. Enthalten sind die Modernisierung der bestehenden Abkommen und der Abschluss von neuen Abkommen über Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit. Wir von Volt werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass dieses neue Paket in der Bevölkerung Anklang findet.
Die Schweiz und die Europäische Union (EU) haben sich nach langen und intensiven Verhandlungen auf ein neues Paket zur Regelung ihrer Beziehungen geeinigt. Die bestehenden bilateralen Verträge bilden seit über 20 Jahren die Grundlage der Zusammenarbeit: Im Jahr 2000 wurde unter dem Namen “Bilateralen 1” ein Vertragspaket abgeschlossen, das seither neben der Personenfreizügigkeit auch den freien Verkehr von Waren, Kapital und Dienstleistungen ermöglicht. 2004 folgten weitere neun Abkommen im Paket “Bilaterale 2”, mit dem wir zu Schengen/Dublin beigetreten sind und die Zusammenarbeit mit der EU in verschiedenen Bereichen vertieften. Diese bilateralen Verträge erodierten jedoch, da sie nicht mehr aktualisiert werden können und somit nicht mehr den aktuellen Rahmenbedingungen entsprechen.
Um diese Lücke zu schliessen und die Beziehungen zukunftsfähig zu gestalten, haben die beiden Partner in über 190 Sitzungen an einem neuen Paket von Abkommen gearbeitet. Der Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Bern am vergangenen Freitag markierte den erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen.
«Heute ist ein Tag grosser Freude», sagte von der Leyen in Bern. «Dieses Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz ist historisch. Damit stärken wir nicht nur die dauerhafte Partnerschaft zwischen uns, das gestärkte Band ist auch im weiteren Kontext von grosser Bedeutung, denn wir geben gemeinsame Antworten auf globale Realitäten, mit denen wir alle umgehen müssen.»
Was ist im Paket enthalten?
Das neue Paket umfasst eine Aktualisierung von fünf bestehenden Abkommen, die der Schweiz Zugang zum EU-Binnenmarkt gewähren: Luftverkehr, Landverkehr, Personenfreizügigkeit, Konformitätsbewertung und Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Zudem enthält es neue Abkommen über Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit. Die Schweiz erklärte sich ausserdem bereit, im Rahmen des Verhandlungspakets eine Verstetigung des Schweizer Beitrags an die Kohäsion innerhalb der EU zu prüfen. Mit diesem Beitrag unterstützt die Schweiz die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den EU-Mitgliedstaaten. In allen Abkommen werden institutionelle Fragen wie die dynamische Rechtsübernahme oder die Streitschlichtung gesondert definiert.
Die wichtigsten Punkte des neuen Verhandlungspakets im Überblick:
Personenfreizügigkeit: Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit wird modernisiert und an die Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) angepasst. Die Schweiz wird alle EU-Bürger:innen neu gleich behandeln müssen. Bisher galten je nach EU-Land beispielsweise unterschiedliche Kriterien für die Einreise, oder unterschiedliche Studiengebühren an Unis und Fachhochschulen.
Ausserdem haben sich die Schweiz und die EU auf eine Schutzklausel bei der Einwanderung geeinigt. Bei “schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen” wird ein paritätischer Ausschuss beider Parteien entscheiden, ob die Schweiz Schutzmassnahmen ergreift.Dynamische Rechtsübernahme: Die Schweiz verpflichtet sich, relevante EU-Rechtsvorschriften in den Bereichen der bestehenden Abkommen zu übernehmen und sich an die Rechtsentwicklung anzupassen. Die demokratischen Prozesse inkl. Referendumsmöglichkeit bleiben dabei erhalten. Sollte die Schweiz jedoch einer Anpassung nicht nachkommen wollen, kann die EU anschliessend Kompensationsmassnahmen beschliessen.
Schiedsgericht und EuGH: Zur Streitbeilegung wird ein unabhängiges Schiedsgericht eingesetzt. Sollte in einem Fall dieses Gericht keine Einigung zwischen den beiden Partnern finden können, so muss der Europäische Gerichtshof angerufen werden.
Vertiefte Zusammenarbeit: Neu kann die Schweiz am EU-Strombinnenmarkt teilnehmen. Auch wird sie an EU-Programmen zur Lebensmittelsicherheit, Forschung (Horizon Europe), Euratom, Digital Europe, EU4Health, EU-Weltraumforschung und Erasmus+ teilnehmen.
Kritikpunkte
Ein so breites Vertragspaket funktioniert nur mit Kompromissen von allen Seiten. Während die EU uns in diversen Bereichen wie der Schutzklausel entgegenkommt, muss sich auch die Schweiz in gewissen Bereichen der EU annähern. In diesen Bereichen wurde entweder schon mit der EU selbst ein Kompromiss gefunden, oder der Bundesrat und das Parlament muss in der nächsten Phase noch abfedernde Massnamen im Inland finden. Hier einige der Kritikpunkte, die auch bei uns von Volt diskutiert wurden:
Lohnschutz: Ein Kritikpunkt am neuen Verhandlungspaket betrifft den Lohnschutz, genauer gesagt die Flankierenden Massnahmen (FlaM). Vor allem Gewerkschaften befürchten Lohndumping und eine Verschlechterung des Lohnniveaus der Schweizer Arbeiter:innen. Die aktuell gültige Anmeldefrist von acht Tagen sollte zuerst nach Wunsch der EU komplett abgeschafft werden. Die beiden Parteien haben sich jedoch darauf geeinigt, das sie nur auf vier Tage reduziert werden soll und der Schweiz wurde zusätzlich eine Non-Regressionsklausel garantiert, d.h. dass die Lohnschutzmassnahmen immer mindestens auf diesem Niveau gehalten werden, auch wenn sich der EU Lohnschutz in Zukunft verschlechtern sollte.
Eine offene Frage, die nun noch innenpolitisch gelöst werden muss, ist die Spesenregelung: Während Schweizer Unternehmen an das Schweizer Spesenreglement gebunden sind, müssen sich EU-Unternehmen nur an ihre lokalen Regeln halten, nicht an die höheren Schweizer Regeln. Hier muss unserer Meinung nach innenpolitisch noch eine Lösung gefunden werden, um Lohndumping verhindern zu können.Kohäsionsbeitrag: Aktuell zahlt die Schweiz jährlich rund 130 Millionen an Kohäsionsgeldern an die EU, mit denen finanziell schwächere EU-Länder unterstützt werden. Neu sollen es ab 2030 jährlich rund 350 Millionen sein. Wir von Volt halten diesen Beitrag für angemessen, da die Schweiz massiv vom EU-Binnenmarkt profitiert und so auch ihren fairen Anteil zahlen soll. Zum Vergleich: Das EWR-Land Norwegen zahlt jährlich 400 Millionen.
Liberalisierung im Schienenverkehr: Durch die neuen Abkommen gibt es eine Liberalisierung in diversen Bereichen. Eines unserer Bedenken war der Bereich des Schienenverkehrs: Wir von Volt wollen das Best Practice des Taktfahrplans nicht gefährden. Glücklicherweise ist die EU der Schweiz jedoch entgegengekommen und so hat der Taktfahrplan trotz Liberalisierung auf der Schiene weiterhin Priorität und auch müssen Schweizer Billette und Abos auf den Fahrten von EU-Transportunternehmen innerhalb der Schweiz gültig sein.
Wie geht es weiter?
Als nächstes werden die Texte von beiden Seiten finalisiert und der Bundesrat führt Gespräche mit den Kantonen und den Wirtschafts- und Sozialpartnern über die inländischen Massnahmen. Ab 2026 kommen die Abkommen dann ins Schweizer Parlament und auch die Europäische Kommission holt sich grünes Licht des Europaparlaments.
Nach aktuellen Informationen soll das Paket in der Schweiz in vier separate Bundesbeschlüsse aufgeteilt werden: Die drei neuen Abkommen separat und dann die Stabilisierung der bestehenden Abkommen. So würde es je nachdem bis zu vier Abstimmungen geben, die sich bis 2028 ziehen könnten.
Unsere Meinung
Das neue Verhandlungspaket markiert einen wichtigen Schritt in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU. Wir müssen die Beziehungen zu unseren Nachbarländern und wichtigsten Partnern endlich stabilisieren, weiterentwickeln und stärken. Dieses Paket ist massgeschneidert für die Schweiz, und die EU kommt in vielen Punkten auf uns zu. Dementsprechend werden nun auch Kompromisse von der Schweiz verlangt, die in unseren Augen mehr als fair sind.
Der öffentliche Diskurs um dieses Paket ist jetzt schon schwierig, da die milliardenschwere Gegner:innenschaft jetzt schon kräftig die in die Desinformationspauke trommelt und Scheinargumente wie “Unterjochung vor fremden Richtern” schreit. Deswegen ist es von zentraler Bedeutung, dass sich alle pro-europäischen Kräfte zusammentun und an einem Strick ziehen. Ja, das Paket hat berechtigte Kritikpunkte, die innenpolitisch nun mit einem Pragmatismus und einer Kompromissbereitschaft aller Seiten angegangen werden muss. Trotzdem überwiegen die Vorteile massiv sämtliche allfälligen Nachteile.
Volts Vision für Europa will langfristig eine europäische föderale Republik aufbauen, in der auch die Schweiz ihren Platz finden wird. Wir wollen ein demokratischeres Europa, das als Garant für Freiheit, Zusammenarbeit und Fortschritt steht. Und auch wenn dieses Ziel noch in weiter Ferne liegt, kämpfen wir trotzdem jeden Tag in über 30 Ländern dafür, uns Stück für Stück dieser Vision anzunähern. Wir in der Schweiz haben hier einen eigenen Weg, der sich ziemlich von unseren Nachbar:innen unterscheidet; Trotzdem ist das Ziel das gleiche. Und deswegen stehen wir von Volt auch vollkommen hinter diesem Paket der “Bilateralen 3” und sehen es als zentralen Schritt in die richtige Richtung. Der Abstimmungskampf wird hart, doch wir sind bereit. Und du?
Quellen
Überblick bilateraler Weg, Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA
Die bilateralen Abkommen Schweiz – EU und die Übernahme von EU-Recht, Universität Zürich
Bilaterale Verträge, Europäische Bewegung Schweiz
Beziehungen zur EU: Der Bundesrat legt Stossrichtung für Verhandlungspaket fest, Bundesrat
Verhandlungen abgeschlossen: EU und Schweiz stärken ihre Partnerschaft, Europäische Kommission
Die Schweiz und die EU schliessen die Verhandlungen ab, SWI swissinfo.ch
The Commission and Switzerland complete negotiations to bring the EU-Switzerland bilateral relationship to a new level, European Comission
Questions and answers on the broad package of measures to deepen and expand the EU-Switzerland relationship, European Comission
Der Bundesrat nimmt Kenntnis vom materiellen Abschluss der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU, Bundesrat
Die Schweiz und die Europäische Union würdigen das Ergebnis der Verhandlungen, Bundesrat
Der Bundesrat spaltet das Vertragspaket mit der EU auf, SRF
Parteispitzen zur Paketlösung mit der EU und zum CS-Bericht, SRF Arena